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Rechnitz (Der Würgeengel)

Theaterstück mit Videoprojektionen

Kooperation der Theaterakademie Hamburg und Kampnagel

​2019

Text Elfriede Jelinek

Regie Woody Mues

Dramaturgie Flavia Wolfgramm

Kostüm Anna Weitzel & Anna Zirwes

Bühne Anton von Bredow

Videoregie Laura Gericke

DOP Leon Daniel

Tonmeister Ivo Sloman

Videotechnik Malwine Mangold-Volk, Marek Luckow

Die Sonne scheint, Capri-Eis tropft von den Handrücken, die Unschuldslämmer kauen auf ein paar Tulpen herum. Ein Stückchen idyllische Provinz. Sie könnte überall sein. Zum Beispiel in Rechnitz. Aber auch überall sonst. Unter der Blumenwiese liegen ein paar Gräber, über die alle geschwätzig schweigen. Ein unaufgeklärtes Verbrechen.

In Rechnitz gab es ein Fest. Ein Gefolgschaftsfest. Es ist Ende März 1945, die Rote Armee rückt näher und ein paar SS-Offiziere, Gestapo-Führer und einheimische Nazi-Getreue wollen es nochmal so richtig krachen lassen. Gräfin Margit von Batthyány hat auf ihr Schloss geladen. Irgendwann sind alle im Rausch. Nebenan warten etwa 200 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter*innen auf ihre Hinrichtung. Ausgewählte Teile der Festgesellschaft werden später ein Blutbad anrichten, um anschließend bis in die Morgenstunden weiterzufeiern. Tags darauf brennt das Schloss und die Gräfin ist auf der Flucht in die Schweiz, wo sie fortan als angesehenes Mitglied der adligen Gesellschaft eine Pferdezucht betreibt.

Die Massengräber dieser Nacht werden nie gefunden, die Hauptverdächtigen haben sich abgesetzt, zwei Zeug*innen werden vor der Aussage ermordet, die Dorfgemeinschaft erstarrt. Niemand wird zur Rechenschaft gezogen. Es ist ein Verbrechen, über das noch immer geschwiegen wird. Es erzählt uns viel darüber, wie wir Erinnern – und vielleicht noch mehr darüber, wie wir Vergessen.

Und so kann Jelineks Theatertext nur ein weiteres „geschwätziges Schweigen“ sein. Eine Sprachfläche, die mit vielen Schleifen, Assoziationen und Leerlauf das historische Ereignis umkreist. Die Bot*innen erzählen uns davon in ihren Berichten. Sie sind Täter*innen, Opfer, Nachgeborene, Zeug*innen, sind Verdrängende und Erinnernde. Es sind Stimmen von damals und heute, verschiedene Positionen und Perspektiven zu verschiedenen Zeiten.

Die Vermischung der Zeitebenen, die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart nimmt die Inszenierung auf, indem sie den Abend an vier verschiedenen Orten spielen lässt. Alle erinnern sich anders. Alle vergessen anders. Und die Lämmer grasen.

„Aber Menschen an sich sind schon was Schönes, finden Sie nicht?“ (Rechnitz, Jelinek)​ 

 

(Text: Flavia Wolfgramm)

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